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Verkehrsprojekt MOZART – Effizienter Verkehrsfluss im Hafenbereich durch den Einsatz von Quantentechnologie

28. Dezember 2020

Karol D auf Pexels

Das Projekt MOZART der Hamburg Port Authority beschäftigt sich seit Juli 2020 mit dem Proof of Concept für die Effizienzsteigerung des Verkehrsflusses im Hafenbereich. Das Ziel ist es, durch ein leistungsfähigeres Hafennetz die Verkehrskapazität zu steigern und gleichzeitig die Verkehrsemissionen zu senken. Um dies zu erreichen werden die kritischsten verkehrlichen Engstellen eines jeden Straßennetzes betrachtet: Kreuzungen. Obwohl Kreuzungen nicht nur im Hafen maßgeblich über die Verkehrskapazität und Emissionen entscheiden, läuft die heutige Verkehrslenkung überwiegend über kaum bis gar nicht dynamische Ampelanlagen.

Das hat uns gewundert. Insofern wollte das homePORT-Team etwas genauer verstehen, wie die Zukunft der Lichtsignalanlagen aussieht und hat sich mit dem Projektteam unterhalten. Denn: An dieser Stelle setzt das MOZART-Projektteam an, um einen gleichmäßiger fahrenden Hafenverkehr mit erhöhter Kapazität und geringeren Emissionen zu ermöglichen. Durch die Echtzeitsteuerung der optimalen Ampelschaltung im gesamten Verkehrsnetz sollen Verkehrsteilnehmer vorausschauend durch den Hafenverkehr geführt werden.

Mehrwert durch den Einsatz von Quantentechnologie

Die Umsetzung von MOZART basiert dabei grundlegend auf drei essenziellen Bestandteilen:

  • Eine zentrale Recheneinheit errechnet in Echtzeit die Ampelphasen für den optimalen Gesamtdurchsatz.
  • Unabhängige Sensorik sendet permanent das gemessene Verkehrsgeschehen im gesamten Hafen aus Induktionsschleifen und Kameras an die Recheneinheit
  • Smarte Lichtsignalanlagen empfangen über 5G im besten Fall nur noch die anzuzeigende Signalfarbe

Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf der zentralen Recheneinheit. Um den Verkehr effizient und flächendeckend zu optimieren, sind umfangreiche Berechnungen in Sekundenschnelle notwendig. Ermöglicht wird dies durch die Schlüsseltechnologie "Digital Quantum Annealing". Digital Annealing ist eine neue Technologie zur Lösung umfangreicher Optimierungsprobleme und wurde durch die Funktionsweise von Quantencomputern inspiriert. Digital Annealer emulieren dabei sog. Qubits, welche in Quantencomputern, anders als normale Bits, verschiedene Zustände gleichzeitig einnehmen können. Die so eingenommene Superposition ermöglicht die Berechnung vieler möglicher Zustände parallel. Die für MOZART eingesetzten Digital Annealer Units (DAU) sollen so die Echtzeitberechnung für ultrakomplexe Verkehrsprobleme ermöglichen.In Zusammenarbeit mit der Fujitsu Technology Solutions GmbH soll bereits Anfang nächsten Jahres eine Erprobung mit Echtzeitdaten starten.

Andere Lösungsansätze sind ineffizient

Alternative Ideen für die Effizienzsteigerung der Kreuzungen im Hafenbereich haben sich bereits als ineffizient herausgestellt. Die Neujustierung der Ampelschaltanlagen kann trotz großen Aufwands die Verkehrskapazität nur in geringem Maß anheben, da der Verkehr dynamisch und zeitlich variabel ist. Auch bauliche Maßnahmen stoßen aufgrund von hohen Kosten für die Planung, den Betrieb sowie Platzmangel an die Grenzen der Umsetzbarkeit. Die Gesamtnetzbetrachtung auf Basis der Quanteninformatik von MOZART könnte auch deshalb einen Meilenstein für die Verbesserung der Verkehrssituation an Verkehrs-Hotspots darstellen und auch andere Logistikstandorte maßgeblich revolutionieren.

Interview mit dem MOZART-Projektteam

Wir haben mit Rando Schade gesprochen. Er ist beim Verkehrsmanagement der HPA tätig und kümmert sich als Projektleiter um MOZART sowie weitere Themen rund um Sensorik für Mobilitäts- und Logistiklösungen im Hamburger Hafen.

homePORT: Lieber Rando, welche Rolle besetzt Du in dem Projekt MOZART?

R: Uns gehören die Ampeln, also die Lichtanlagen sowie die ganze Sensorik, die damit zusammenhängt. Das heißt die Erfassung des Verkehrs um die Lichtschaltanlagen (LSA) entsprechend zu schalten. Dazu haben wir außerdem noch weitere Sensorik wie Kameras  zur Verkehrserfassung, sogenannte Heatcams, um die Belastung im gesamten Netz zu erkennen und Verkehrsinformationen zu schalten. Wir haben die Absicht einen besseren und stetigeren Verkehrsfluss im Netz zu erzielen und die Kapazität von unserem Netz zu steigern.

homePORT: Was sind die Ziele von dem Projekt MOZART?

R: Das Ziel ist die Schlüsseltechnologie Digital Annealer und dessen Algorithmen zu nutzen, um Optimierungen im Verkehr durchzuführen. Es handelt sich dabei nicht um einen Quantencomputer, allerdings ist diese Technologie quanteninspiriert.

Im Wesentlichen geht es darum, wie die Grün- und Rotzeiten auf die Ampeln verteilt werden können, sodass die Knotenpunkte untereinander abgestimmt sind und bspw. LKW als Pulk gegenüber einzelnen PKW priorisiert werden. So sollen in Summe die kürzesten Fahrzeiten, die geringsten Start-Stop-Situationen, die wenigsten Staus und damit natürlich auch die wenigsten Emissionen erreicht werden. Idealerweise soll so bspw. ein LKW-Pulk über alle Ampeln fahren können, ohne immer wieder an einzelnen Knotenpunkten (Ampeln) stehen bleiben zu müssen. Das ist der Vorteil dieser Gesamtnetzbetrachtung gegenüber einer Einzelschaltung.

homePORT: Was sind diese Digital Annealer genau?

R: Ein Digital Annealer ist ein Prozessor, kein Quantenprozessor, allerdings ist er genau für diesen Anwendungszweck der Lösung von Optimierungsproblemen optimiert. Für uns im Hafen ist das eine Schlüsseltechnologie, um eben die Gesamtnetzbetrachtung aller Knotenpunkte zu erreichen und abgestimmt alle Rot- und Grünzeiten schalten zu können.

Die Kompetenz für diese Digital Annealer liegt bei Fujitsu, während wir die Infrastruktur und -daten beisteuern. Im Digital Annealer werden unsere Daten in mathematische Formeln umgesetzt und eine lokales Minimum gefunden. In diesem Fall eben die kürzeste Wartezeit oder Verzögerung.

Wichtig ist eben: Digital Annealer sind keine Quantencomputer, allerdings können wir mit diesen Berechnungen in Echtzeit durchführen, welche in der Vergangenheit nicht möglich waren. Man hat bei diesen Berechnungen schnell sehr  viele Unbekannte, welche bei herkömmlicher Hardware in die Jahrhunderte Berechnungsdauer gehen würden.

homePORT: Welche Sensorik wird zur Datenerfassung eingesetzt und in welchem Umfang?

R: In unserem Teilnetz liegen für diese Projektphase aktuell fünf Knoten. Wir haben uns einen nicht gerade unwichtigen Teil des Hafens ausgesucht und zusammenliegende Knoten entlang der Haupthafenroute gewählt. An diesen Knoten wurden Schleifen zur Verkehrszählung und Erfassung von PKW und LKW angebracht, die können wir durch das Profil, das sie abgeben, unterscheiden. Außerdem können wir die Geschwindigkeit erfassen, d.h. wir wissen, was auf den Knotenpunkt zufährt, ob es ein PKW oder LKW ist und in welche Richtung diese weiterfahren möchten. Dadurch wissen dann natürlich auch was der Abfluss für den Folgeknoten ist. Dazu haben wir unser PortRoad-Managementcenter, wo wir diese Verkehrserfassung in einer Datenbank zusammenführen können.

Ergänzend haben wir noch Kameras installiert, an Stellen, an denen keine Schleifen vorhanden sind. Die Kameras können den Umriss der Fahrzeuge erfassen und ebenfalls zwischen den Fahrzeugarten unterscheiden sowie die einzelnen Spuren und Ziele der Fahrzeuge erkennen. Die Kameras dienen allerdings eher als Ergänzung an Verkehrsarmen, an denen sich der Einsatz einer Spule nicht lohnt, aber trotzdem alle Spuren erfasst werden sollen.

homePORT: Wie wird die Sicherheit und Zuverlässigkeit der Ampelanlagen sichergestellt, z.B. im Fall des Ausfalls einer Spule?

R: Die Ampelanlagen bleiben vorerst wie sie sind. Diese sind im Moment weitgehend unabhängig. An der LSA ist immer ein Kasten, auf dem das Programm autark, ohne Verbindung zum Netz, laufen kann. Das wäre also in jedem Fall eine vorhandene Redundanz, sodass bei einem Absturz der Regelbetrieb wieder hergestellt werden kann. Sie können dabei auch verkehrsabhängig steuern, am Knotenpunkt können sie ohnehin die Verkehrsmengen erfassen. Das Problem bei dem Ausfall von Sensorik besteht also teilweise auch heute schon, kommt jedoch sehr selten vor.

Über die Echtzeitsteuerung der LSA hinaus sollen durch die Modellierung des Teilnetzes auch Zusammenhänge erkannt werden. Wir erkennen also den generellen Verkehrsfluss zu bestimmten Tageszeiten und können so auch unsere Vorhandenen Programme gemäß vorhandenen Regeln entsprechend optimieren. Durch MOZART wird es also keine Erhöhung des Risikos geben, sondern eine stetige Verbesserung des Gesamtsystems.

homePORT: Was sind die nächsten Schritte im Projekt und ist eine Ausweitung des Projektes für die Zukunft geplant?

R: In der aktuellen Projektphase wird das Netz nachmodelliert und das Geschehen eines Beispieltages optimiert. Bis zum ITS-Kongress im nächsten Jahr ist geplant, diese Modellierung an unser Port Road Management Center anzuschließen und Echtzeitdaten einzuspielen, um so das Optimierungsverhalten des Modells am aktuellen Verkehrsgeschehen zu erkennen. Als Produkt haben wir dann zum einen das Verkehrsmodell und zum anderen als Ausgabe das Ergebnis der LSA-Schaltempfehlung.

Je nach Ergebnis soll das Produkt natürlich dann auch auf weitere Teilnetze ausgebaut werden. Wir gehen natürlich in der aktuellen Phase auch schon in die Richtung einer Referenzarchitektur, um das Zusammenspiel von Sensorik, Lichtschaltanlagen und Recheneinheiten in Bezug auf Verzögerung zu erproben.

homePORT:  Ist der Einsatz der Technologie auch für den Hamburger Stadtverkehr realistisch?

R: Einerseits sind wir natürlich mit dieser Technologie sehr weit vorne, andererseits muss auch zwischen den Verkehrsarten unterschieden werden. Zum jetzigen Stand liegt der Fokus auf dem Waren- und Wirtschaftsverkehr mit LKW und PKW. Fußgänger und Radfahrer sind im Hafenbereich in den meisten Bereichen kein Problem. In der Stadt kommen dazu noch ÖPNV und diverse andere Verkehrsmittel hinzu.

Unser Projektpartner Fujitsu ist aber natürlich auch mit der Stadt Hamburg aktiv und überlegt sich auch für das Stadtgebiet etwas. Diese haben auch ein Referenzprojekt für die Olympiade, welche eigentlich dieses Jahr in Tokio stattfinden sollte, wo sie dann über das gesamte Netz Optimierungen legen. Dabei handelt es sich um einen leicht anderen Ansatz, aber die Schlüsseltechnologien nutzen sie dort genauso.

homePORT: Vielen Dank für die Einblicke in das Projekt und viel Erfolg für die Zukunft!

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